Südamerika



Motorradtour

aus der Sicht Elises


  Rot, gelb, grün. First Gear. Ich beschleunige. Verdammt, was macht dieser weisse Cadillac plötzlich hier? Es knallt. Mein Vorderrad flutscht unter das Hinterrad des Cadillacs. Felge und Gabel geben nach. Der Scheinwerfer fliegt auf die Gegenspur. Ich sehe fast nichts mehr. Burkhard rappelt sich auf und humpelt um mich herum. Sirenengeheul überall, wie in diesen amerikanischen Actionfilmen, Kein Wunder, wir sind in den USA. Ein Cop mit Harley nimmt den Unfall auf.


  „It’s total“, Bill Plam, der freundliche Biämdabbelju-Dealer aus Soquel, und deutet auf den Knick im Rahmen. Burkhard sinkt auf die Knie und fängt an zu heulen. Aus, Ende.

  Denkste. Wir tuckern gemütlich auf dem „Paraguay Trader“ den Río Paraná herunter. Die einwöchige Flussfahrt von Asuncíon nach Buenos Aires ist frei von Stress und Sturz, denn ich bin unfallsicher auf Deck verzurrt.


  Tja, dieser Unfall in Kalifornien vor eineinhalb Jahren war doch eher ein Glück als ein Unglücksfall. Die Versicherung des fast siebzigjährigen Rotlichtfahrers hat gut gelöhnt. Für Burkhards abgeschabten Knöchel und meine diversen Blessuren gab es einige tausend US-Dollar. Genug, um mich mit anderem Rahmen, Gabel und Felge rundzuerneuern und fit für Südamerika zu machen.


  Es wäre ja wohl auch das letzte gewesen, in einem so schönen Land wie Kalifornien verschrottet zu werden. Mexico, Guatemala, die ganze US-Westküste, die kanadischen Rocky Mountains, British Columbia, Yukon und Alaska haben wir schon abgeklappert, zwei Schneestürme in Utah überstanden, und während Burkhard am Fuß des Grand Canyon bei herbstlichen Temperaturen Silvester feierte, schneite ich oben ein. Nein, er war es mir einfach schuldig, etwas Arbeit und Geld in mein lädiertes Äußeres zu stecken. Leider waren dann auch noch mehr als eine Handvoll Dollar über, genug um in New Orleans eine grosse, dunkle Transportkiste für mich zu zimmern. Als mein Besitzer den Holzkasten nach fünf Wochen Schaukelei wieder knackte, war ich stinksauer und sprang erstmal nicht an. Ich gab Burkhard bei brütender Hitze Zeit, über die mir verordnete Isolations-Dunkelhaft nachzudenken, bis er nach zwei Stunden dann schließlich meinen defekten Zündkondensator fand.


  „Be emme uwe erre noventa ese“ - ich könnt’ mich immer wieder beömmeln, wenn ich meinen Namen auf spanisch höre. Tja, Leute, wir sind tatsächlich in Südamerika, und der Mann mit den vielen Stempeln und Zetteln, der da so aufgeregt und bewundernd um mich herumtanzt, ist der Herr vom Zoll, ohne den und vor allem ohne ein kleines „Trinkgeld“ hier nichts geht. Die sechzig Dollar extra zahlt Burkhard aber gern. Hat er doch während meiner fünfwöchigen Seefahrt mehrere Busfahrten unternommen, die alle mehr oder weniger in die Hose gingen. Und nachdem eines der Vehikel mit Turboschaden in feuchtschwüler Tropenlandschaft zusammenbrach, hatte Burkhard nach sechsstündiger Wartezeit auf den klapprigen, stickigen und übervollen Ersatzbus die Faxen dicke. Er sehnte sich nach frischer Luft, Freiheit und Abenteuer…also nach mir! Die verbleibenden zwei Wochen harrte er in seinem netten Hotel Isabel in Maputo ungeduldig meiner Ankunft.


  Ja, er wartete auf mich, das zuverlässige, alte Stück Eisen aus Berlin. Aber was hat er aus mir gemacht? Meinen Scheinwerfer verlor ich gleich in der ersten Woche, nachdem mich Burkhard zielgenau und verträumt über die einzige Bodenwelle weit und breit hat fliegen lassen. Das Glas splitterte, und eine zünftige Augenbinde aus Klebeband lässt mich von nun an  Südamerika aus der Sicht von Käpt’n Silver erleben. Meine guten Dellorto-Vergaser sollten offensichtlich Wasser und Schlamm zu einem brauchbaren, zündfähigen Gemisch verzaubern, anders kann ich mir unsere Flußdurchfahrt in Mateo nicht erklären. Zugegeben, das Gewässer ist eigentlich eine asphaltierte Straße, aber jeder weiss schließlich, dass in Venezuela im August Regenzeit herrscht. Steht doch in jedem Reiseführer. Na ja, wenigstens hatten die anwesenden Kinder ordentlich was zu lachen. Vor allem, als er mich aus dem schlammigen Wasser zerren mußte. Solche Faxen mache ich in meinem Alter wirklich sehr ungern. Ich bin 1976 geboren, habe schon 140 000 Kilometer auf der Uhr und bin eigentlich für sowas viel zu schade. Aber wie soll ich mich wehren? Wenn ich mal nicht will, schmeisst er mich einfach auf den nächsten haltenden Lkw, und weiter geht’s. So wie damals in Peru. Wir hatten schon drei Wochen die längste Küstenwüste der Welt genossen, als sie uns doch noch kleinkriegte. 120km südlich von Nasca waren wir umzingelt. Es fand eine Invasion von Trilliarden von Sandkörnern feinster Qualität statt. Wir konnten noch an einer festgefahrenen Lkw-Kolonne vorbeieiern, bis ich schließlich wegen total versandeter Zündmechanik dicke Backen machte. Burkhard knirschte mit den Zähnen, was allerdings keine Reaktion auf mein „Versagen“ war, ebensogut hätte er mit Nase und Ohren knirschen können. Der Sand steckte überall. Gerade 100 Meter rechts von uns war nur noch verschwommen der Pazifik zu erkennen. Wir hatten anlandenden Wind und es war uns einfach unverständlich, wo der ganze Sand herkam.


  Solidarität ist ja inzwischen ein etwas abgegriffenes Wort. Wenn es sie aber irgendwo gibt, dann unter den Benutzern der peruanischen Panamericana. Auf der 2500 Kilometer langen Wüstenstrecke kann viel passieren, und jeder ist für jeden da. Der erste freigeschaufelte Lkw der Kolonne hielt ohne Aufforderung, der darauffolgende wurde gestoppt, und während Burkhard die Ladeluke gegen den heftigen Sturm stemmte, wurde ich von fünf peruanischen Brummifahrern in einem Berg von Möbeln zwischengelagert.


  Für Burkhard war es im Fahrerhaus zwar weitaus enger, dafür erlebte er die 300 Kilometer bis Camaná live. Die drei Peruaner waren total gut drauf, den angebotenen Joint lehnte Burkhard allerdings höflich ab. Es machte ihn schon nervös genug, dass sich der Fahrer vor jeder Kehre bekreuzigte. Einerseits froh über die spontane Hilfsaktion, musste Burkhard andererseits an die zahlreichen umgestürzten Laster in den kolumbianischen Anden denken. Während sich die im Stau steckenden Kraftwagen-Fahrer stundenlang die Füsse im Staub vertreten durften, mogelten wir uns dank meiner schlanken Gestalt gerade noch so durch. Durch die neidischen und bewunderten Blicke fühlte sich Burkhard dann immer wie ein Bergprinz hoch zu Ross.

  Genauso unbeliebt wie der wüste Sand wurde für mich Peru’s Anden-Wellblechpiste nach Puno. Der Bergprinz ging wohl davon aus, dass R90S bedeutet „Rennt neunzig auf Schotter“. Jedenfalls ging meinem hinteren Polstergummi die sowieso schon knappe Andenluft aus, und das darauffolgende Schlagloch verpasste der Felge die dazu gehörige Kaltverformung.


  Dabei hatte die letzten Tage alles so gut geklappt. Wir hatten uns Hans und Conny und ihrer niedlichen Yamaha XT 600 angeschlossen und waren in gemütlichem Tempo die 520 Kilometer von Arequipa nach Cuzco gezottelt. Wir streiften dabei Weltstädte wie Yura, Cayloma, Sibayo und sogar Yauri, konnten bei 4500 Metern über Normalnull mal so richtig in die Täler kucken und liessen uns durch Staub und dünne Luft überhaupt nicht irritieren. Voller Begeisterung betrachteten die drei in und um Cuzco herum viele Haufen Steine, die einst von vielen Inkas zu vielen imposanten Bauwerken geschichtet wurden, um dann von vielen Spaniern zu vielen Ruinen verwandelt zu werden. Na ja, davon verstehe ich wohl nichts, ich bin ja nur für den Transport zuständig. Der wurde erst mal durch besagtes Schlagloch und die Beule in der Felge unterbrochen. Mit Hilfe eines Felsbrockens und brachialer Gewalt löste Burkhard das Problem.


  Achtung, jetzt folgt ein Aufruf an alle Enduros. Wenn ihr mal so richtig durch Schlamm und schlittern wollt und ihr die Regenwälder Afrikas schon abgehakt habt, in Bolivien habt ihr von Dezember bis Mai beste Chancen, euch auf praktisch unpassierbaren Routen mal austoben zu können. Ausser im Umkreis von La Paz oder Santa Cruz gibt’s kaum Asphalt.


  Das Örtchen Epizana begrüsste uns dann mit einem deftigen Wolkenbruch. Die 220 Kilometer nach Sucre wurden zu einer glänzenden Rutschpartie, in deren elfstündigem Verlauf meine zwei schönen Zylinder fünfmal Mutter Erde küssten und der rechte dabei drei Kühlrippen einbüsste. Hier war die Grenze meiner Metzeler-Marathon-Schlappen erreicht. Immerhin, mit nur zwei Hinterreifen von Kalifornien über Alaska nach Feuerland und dann Buenos Aires ist auch keine schlechte Leistung.


  Der anbrechenden Regenzeit wollten wir keine weitere Gelegenheit geben, uns den Urlaub vermiesen zu lassen, von nun an ging’s bergab. während Potosí am Südzipfel des Altiplano auf 4000 Metern und der 400 Kilometer entfernte argentinische Grenzort La Quiaca noch auf 3450 Metern liegt, kommt Tucumán 600 Kilometer weiter südlich nur noch auf schlappe 450 Meter über Normalnull. Es wurde mit jedem weiteren Kilometer südlicher spürbar wärmer und grüner. Erst kamen Kakteen, dann Wald.


  Um seine Silvesterverabredung in Santiago de Chile einhalten zu können, peitschten wir auf der Route Quarenta durch bullernde Hitze, bunt gefärbte, grandiose Felsenlandschaften und durch Schwärme von Schmetterlingen nach Mendoza und schwuppdiwupp über den 3800 Meter hohen Andenpass nach Chile.


  Der Aconcagua, mit knappen 7000 Metern der höchste Berg Amerikas, schaute uns verdutzt nach. Es kommt nicht oft vor, dass Touristen an ihm vorbeieilen, ohne ein Foto zu machen. Erstaunt schaute auch Burkhard, als ich ihm nach diesem Gewaltritt in Santiago mit einem kapitalen Kardanschaden erstmal den Dienst quittierte und ihm eine schöne Weihnachtsbescherung bescherte. Das Antriebskegelrad war durch eine lose Kontermutter hin und her geschlackert und hatte die Verzahnung des Tellerads angeknabbert.


  Marco, der wohl findigste BMW-Schrauber Santiagos, machte mangels Neuteilen aus zwei abgenudelten Antrieben einen gebrauchsfähigen.


  Den Süden Chiles und Argentiniens so richtig zu geniessen, liess sich Burkhard durch nichts vermiesen. Weder durch Unstimmigkeiten mit dem Wetter noch durch die Begegnung mit einem Renaultkotflügel, der meinen linken Koffer im wunderschönen argentinischen Nationalpark Nahuel Huapi knutschte.


  Burkhard fing das letzte Vierteljahr noch mal an, Urlaub zu machen. Gletscher gucken, Sonnenuntergänge und Vulkane bestaunen, Berge bewandern und in Bergseen baden, Fisch futtern, Pisco und Wein passten auch noch rein.

  Und während ich Burkhard auf 500 Kilometer langer Schotterpiste von einem Paradies zum anderen brachte, brach mein Rahmen an der Lenkkopfstabilisierung. Nach vergeblichen Schweissbemühungen auf argentinischer Seite, fand er in Punta Arenas endlich einen Künstler, der eine halbe Panzerplatte als Stabilisierung an mich heftete.


  Aber nach Feuerland hätte Burkhard mich jetzt auch in Teilen verschiffen können, denn von Punta Arenas geht die Fähre nach Porvenir, Tierra del Fuego. Und während der „Paraguay Trader“ langsam in den Hafen von Buenos Aires schaukelt, muss ich daran denken, dass wir diese Gratisüberfahrt nach Europa nicht bekommen hätten, hätte nicht dem Fahrer des deutschen Botschafters, Juan Lieberwirth, mein Outfit ins Auge gestochen. Burkhard kam in den Genuss argentinisch-deutscher Gastfreundschaft, und Juan’s Zwillingsbruder Carlos ist erster Ingenieur auf dem „Paraguay Trader“, der in diesen Tagen nach Antwerpen aufbricht.


  Ich grüsse alle Motorräder mit über 200 000 Kilometer Laufleistung!


Elise


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